4 Niemand will mich - also ab in die Idiotenklinik
So fand ich mich also auf dem P7/2 wieder, einer Abteilung, die, theoretisch ausbruchsicher, Irre und
Verwirrte mannigfaltigster Art beherbergte und über eine spezielle Unterabteilung verfügte, den sogenannten Wachraum. Hier durfte man nur das Spitalhemd tragen, die ansonsten schon deftig eingeschränkten Selbstverständlichkeiten wurden bis zur Superlative eingeschränkt, mit anderen Worten, es war fast gar nichts mehr erlaubt.
Hier sollte ich also 14 Tage verweilen. Zwecks kaltem Entzug wie man mich aufklärte. Dass ich gar keine , aber auch nicht die geringsten körperlichen Symptome eines Entzuges aufwies fiel diesem geschulten Personal natürlich nicht auf, es reichte , dass ich ad Acta als abhängig galt.
Für einen vor Energie strotzenden Teenager gibt’s natürlich nichts schöneres, als mit schreienden Irren zusammen einen Gang zu bewohnen und denselbigen stundenlang stupid, nein, höchst behämmert auf und ab zu gehen, die Hände auf dem Rücken, denn ausser den masturbalen Tätigkeiten hatten diese eh keine Beschäftigungsmöglichkeit. ( Ich bekam Anfangs nicht einmal etwas zu lesen).
Ich war hin und hergerissen zwischen der verlockenden Möglichkeit mir fremde Welten zu ergründen und dem frustrierenden Bewusstsein, dass ich nicht freiwillig hier war. Ich hielt sowieso nicht viel von “Seelologen“ , die nicht einmal ein tieferes Verständnis der Seele aufwiesen. Doch war ich auf der einen Seite selber voller Forschungsdrang, auf der anderen Seite wieder der kompromisslose Rebell, jede Autorität in Frage stellend und so mussten sich die beiden Aspekte zwangsläufig mischen.
Bei meinem ersten Gespräch mit einem Seelenklempner stellte ich zum erstenmal voll bewusst und mit nicht geringem Erstaunen fest, dass es doch tatsächlich Menschen gibt, die Dir mit Vehemenz Probleme einzusuggerieren suchen, welche du bis dato gar noch nicht als solche empfunden hast. Ich hatte also eine depressive Neurose. Fanden zumindest die geschulten Spezialisten. Ich dachte mir, wenn ich nicht bald da rauskomme integriere ich mich noch und werde irre.
Die ganze Situation empfand ich als demütigend, entmündigend, intellektuell formuliert, Scheisse. Zu dieser Zeit hatte ich bereits einiges Wissen über die Arbeitsmethoden der Weisskittel angehäuft, dazu kam meine Kenntnis über die verschiedenen Tests wie Baumzeichnung, Rorschacher etc und somit verfügte ich also über die besten Voraussetzungen um den Kampf gegen eine studierte Übermacht aufzunehmen.
Zuerst war ich wie erwähnt auf der sogenannten Wachstation interniert, langweilte mich zu Tode und verschloss mich ganz. Kann man sich vorstellen was das heisst, als bald 16jähriger eingeschlossen zu sein mit Irren, Suiziden, Deppen und Idioten. Nach 14tägigem Gangwalking durfte ich dieses Paradies verlassen und kam eine Türe weiter. Hier war es mir erstmal nicht mehr langweilig, denn was ich da geboten bekam war ein einmaliges Schauspiel.
Auf einem Stuhl sass ein alter, geistig umnachteter Mann, der, sobald man seine Schulter nur berührte, anhub zu schreien, er stürze ab und dazu bedrohlich auf seinem Stuhle zu schwanken anfing.
Ein junger Spanier hingegen, höchstgradig gespalten notabene, fuchtelte bedrohlich mit dem zum Revolverlauf geformten Zeigefinger herum, zielte auf alles was sich bewegte und schrie beständig, dabei immer wieder die sichere Deckung wechselnd, Päng Päng Päng. Irgendwann ging ihm die Munition aus und er beschloss seinen Tod. Dann nahm er von irgendwem die Hände, suchte sie um seinen Hals zu legen und sagte mit tieftraurigen Augen : “ Muorte“. Als er dies jedoch einmal bei einem paranoiden Irren versuchte, fühlte sich dieser bedroht und hämmerte dem Schizospanier einen Stuhl über die Rübe. Largactil sei dank beruhigten sich beide wieder. Da ich grundsätzlich das Befinden eines Versuchskarnickel hatte, beschloss ich als Gegenzug meine eigenen Studien aufzunehmen, natürlich nicht zuletzt, um der Langeweile ein bisschen vorzubeugen. Eines meiner Opfer, der schwachsinnige Tanner, hatte die Manie nach jedem Krümel Essen oder kleinstem Tropfen Tranksame auf die erste Toilette zu rennen, Hose runter, sitzen, aufstehen, Hose rauf, los zu rennen und dann in WC Zwei die gleiche Prozedur ad infinitum. Die Pfleger machten sich jeweils einen Spass daraus WC 2 abzuschliessen um den Kreislauf zu durchbrechen und amüsierten sich köstlich ob dem verzweifelten Tanner, welcher ergebnislos die Türklinke bewegte, immerfort vor sich hinklagend “ mach uuf, mach uuf“. Eines Tages, ich sass gemütlich vor meinem Kaffee, kam Tanner auf mich zu und loopte “wott au , Tanner wott au“ , also offerierte ich ihm grosszügig eine Tasse Lux, hochgereiftes, edelstes und auf der Zunge vergehendes Abwaschmittel. Tanner leerte die Tasse ex. Was vielleicht noch zu erwähnen wäre, Tanner sass darauf drei Tage im Stuhl und stammelte vor sich hin: “Hmpf isch mir schlächt, hmpf isch mir schlächt“ und wenn ihn die Pfleger fragten was er habe meinte er, “ Hä schlächt is mer dänk durum, hmpf isch mir schlächt.“ Mich wunderte eigentlich nur die Tatsache, dass aus seinem Mund während des Sprechens keine Seifenblasen quollen, da das in den Filmen immer so vollgeil aussah und ich das eigentlich vorausgesetzt hatte.
Der Beispiele wären noch etliche. Ich konnte nicht akzeptieren, dass ich der Drogen wegen hier verschimmeln sollte und mir gleichzeitig von Pflegern vorgeschwärmt wurde, wie abgefahren ihre LSDerfahrungen doch seien. Ich wollte es genau wissen und erzählte einem Pfleger, ich bräuchte unbedingt eine Spritze ………. Zwecks Reinigung meines Rasierapparates und um Bedenken gar nicht erst aufkommen zu lassen fügte ich noch blauäugig bei, dass ich den Rasierer selbstverständlich in seiner Gegenwart reinige, so er das wünsche. Ich wusste damals schon sehr viel über die Prinzipien der Suggestion und haute den guten Mann voll in die Pfanne. Was soll ich sagen, ich bekam die Spritze sammt zugehöriger Nadel, dass ich sie nach Gebrauch wieder bringen sollte tat dieser Ungeheurigkeit keinen Abbruch. Ich stellte mir das Chaos und die Erklärungsnot vor im Falle, dass ich jetzt an dieser in der abgeschlossenen Klinik erhaltenen Spritze sterben würde. Für mich war das der endgültige Beweis für ihre Inkompetenz.
In der Klinik war übrigens auch ein aus der Schulzeit Bekannter von mir, welcher auf dem Stand eines 12jährigen stagnierte und zudem noch als schizophren galt. Nichts desto trotz beschlossen wir zusammen abzuhauen. Er erklärte mir erst nach geraumer Zeit, dass er sowieso Urlaub habe und diese Gelegenheit zur Flucht nutze. Gut, so musste also nur ich raus.
Tag X war erreicht, Andy hatte seinen Wochenendurlaub und ich war im Aussengehege, durfte also frische Luft schnappen im Garten, der aus Sicherheitsgründen im Kellergeschoss angelegt war und somit die Freiheit durch eine Dreimetermauer von mir trennte. Ein temporär internierter Knacki aus Regensdorf anerbot sich zu helfen. Unter der Voraussetzung, dass ich die Flucht auch schaffe. Die Pfleger waren im Innenraum am Tischfussballkasten am töggelen, als sich der hilfsbereite Knacki einen Stuhl griff, an die Wand der Gartenmauer stellte und den besagten Stuhl bestieg. Ich rannte förmlich an ihm hoch, bekam die Mauerkannte nicht richtig zu fassen, er forderte mich auf keine Rücksicht zu nehmen, also stand ich auf seinen Kopf, erfasste die Mauerkante, zog mich hoch und weg war ich. Die Pfleger hatten noch versucht nach mir zu greifen, rannten dann wieder hinein um auf dem regulären Wege die Verfolgung aufzunehmen doch ich war zu dieser Zeit bereits zu weit weg.
Ich hatte also die Mauer bezwungen, rannte über die Wiese und da versuchte sich eine fette Pflegerin in den Weg zu stellen in der irrigen Meinung, ich sei ein entfleuchender, verwirrter Irrer. Ich schrie sie an, aus dem Weg du fette Sau und sie gab mir recht und gab den Weg frei. Vorne war die rettende Aare und hinter mir hörte ich schon die Pfleger brüllen “ Hebed en“ . Ich rannte weiter , überquerte die Bahngeleise und hörte bereits das rauschen der Aare. Sie würden mich weiter verfolgen und die Flucht zu Lande war geländemässig risikoreich. Langsam holten sie auf und ich hörte schon die ersten Aufforderungen aufzugeben da schaute ich noch einmal zurück, wurde mir bewusst, dass dies nicht mein Wunschaufenthaltsort ist und stürzte mich mit Todesverachtung in die Aare. Kopf runter, treiben lassen und da die Aare ziemlich schnell unterwegs war, entkam ich meinen verdatterten Verfolgern auf dem Wasserwege.
Ich weiss nicht mehr wie lange ich auf dem Wasser getrieben bin. Ich weiss nur noch, dass ich irgendwo an Land ging und einfach marschierte. Richtung Aarau, dabei unablässig durch Sonne und Wind trocknend.
Irgendwann traf ich in Aarau ein, ungefähr um 1700 Uhr und begab mich in die Tuchlaube, ein beliebter Kultur und Jugendtreffpunkt. Kaum hatte ich den Raum betreten stürzte auch schon ein Kumpel auf mich zu und frug mich, ob das stimme, dass ich fixe und darob in der Spinnwinde gelandet sei und so . Ich fauchte ihn an “wer erzählt so was“ worauf er meinte “dein Bruder“ worauf wutentbrannt denselbigen suchte und ihm kommentarlos eine vor den Latz knallte. Ich fühlte mich darauf keineswegs erleichtert sondern im Gegenteil in höchstem Masse elend, unverstanden, allein, zog mich zurück und ergab mich einem Weinkrampf.
Nachdem ich mich soweit wieder beruhigt hatte machte ich auf den Weg zu Andy. Ich wurde von seiner Mutter bewirtet, durfte dort nächtigen und am nächsten Morgen hatte die gute Frau auch noch bei einer Bekannten einen kleinen Job organisiert. Andy und ich besuchten also diese Bekannte , eine ältere Frau um die 70, welche uns bat, ihr doch das Brennholz zuzubereiten und am vorgesehen Platz endzulagern. Wir begannen damit und nach ca. fünf Minuten meinte Andy, er müsse jetzt zuerst einen Kaffee haben, sprachs und ersuchte unsere Auftraggeberin flux um einen Kaffee. Nach der wohlverdienten Pause arbeiteten wir wieder 10 Minuten und dann fand Andy, er müsse etwas zu rauchen haben, sprachs und ersuchte unsere Auftraggeberin fix um Rauchwaren. Nach der wohlverdienten Rauchpause schufteten wir wieder knapp 10 Minuten im Schweisse unserer Angesichte und Andy meinte, es sei genug der Arbeit für heute. Er gehe jetzt zu der guten Frau und sage ihr, dass dem Stress für heute Genüge getan sei und sie so gütig sein möge uns ein paar Münzen à Konto zu geben, wir kämen dann morgen wieder. Was soll ich sagen, wir zogen somit frisch gestärkt mit ein wenig Taschengeld von dannen. Doch weit kamen wir nicht. Wir sassen gerade gemütlich auf einer Bank in der Golattenmattgasse, als sich uns zwei Typen näherten. In meiner Naivität nahm ich sie erst war, als sie sich vor uns aufbauten und nach den Ausweisen fragten. Andy meinte: “ah, lug ä do, zwöi Schmierläppe.“ Er kannte sie also und sie auch ihn, wie sich herausstellen sollte. Bei mir war der Fall klar. Keine Ausweise und als geflüchteter Insasse der Irrenanstalt gemeldet. Andy behauptete, er sei in Urlaub und zückte seine Urlaubsbestätigung worauf der Bulle nur bellte, sie sei am Sonntag abgelaufen und heute sei Montag.
Andy geiferte, dass er keinesfalls die Absicht habe sich einfach mitnehmen zu lassen und schon war die grösste Rangelei in Gange. Das Bild war köstlich. Ich sass amüsiert auf der Bank und schaute zu, wie sich zwei Polizisten bemühten einen rasenden Teenager zu bändigen. Die drei wälzten sich zu meinen Füssen im Staube und ich genoss diesen Anblick dergestalt, dass ich darob sogar alle Fluchtgedanken vergass. Nun, nach zähen, sich ewig erstreckenden Minuten hatten es die wackeren Mannen geschafft den Jugendlichen zu bezwingen und liessen nun die Handschellen klicken. Eine für Andy und eine für mich. So marschierten wir also quer durch die Stadt, Andys rechte Hand mittels Schelle mit meiner linken Hand gekoppelt und wir beide von zwei Zivis eskotiert. Es war die Hölle, zumal ich in jener Zeit noch jede Menge Schamgefühle aufwies und Andy jedes Mal, wenn er im gaffenden Pöbel ein Gesicht zu erkennen glaubte seine Hand, die mit meiner verbundenen natürlich, in die Höhe riss und stolz seine Handschelle zu erkennen gab. Ich als der körperlich Unterlegene hatte natürlich keine andere Wahl als die Zwangspräsentation. Auf dem Posten angekommen wurden wir getrennt, Andy wurde seines Weges gegangen und mich sperrten sie in eine Zelle ohne sanitäre Einrichtungen. Nein das stimmt nicht ganz, denn die Zelle verfügte über einen fortschrittlichen Kübel, in den man notdürftig die Notdurft verrichten durfte.
Nachdem sich die Zelle hinter mir geschlossen hatte verfiel ich den Tränen der Resignation, nicht ahnend was mich noch erwarten sollte. Als erstes hörte ich das knirrschende Geräusch des Zellenschlüssels. Ein Mann baute sich bedrohlich vor mir auf und erklärte unmissverständlich, er sei der Stirnimann und bei ihm herrsche Ordnung. Falls ich das nicht glaube sei er gerne bereit mir das einzubleuen. Es war das Paradies für Autoritätsfetischisten und wenn ich später gesetzesfundamentalistische Sheriffs in amerikanischen Filmen sah dachte ich öfter an diesen Fundi von Aarau. Später holte mich einer der zwei Beamten ab um abzuklären ob ich während der Kurve deliquent geworden sei. Nee war ich nicht, ehrlich nicht, aber da waren noch einige Abklärungen von Nöten, um meine Zeit vor der Klinik zu klären.
Ich erkannte während der Verhöre mein Talent viel zu erzählen ohne relevante Daten freizugeben und ging prinzipiell nur auf Details ein, die vage oder konkret bereits feststanden und ich nicht mehr verleugnen konnte. Keine Kumpels zu verpfeifen war Ehrensache für mich und auch ihre primitiven Einschüchterungsversuche fruchteten nicht viel. Trotzdem kam eine ganze Liste zusammen. Wiederholte Entwendung von Autos und Motorrädern zum Gebrauch. Wiederholter Verstoss gegen das schweizerische Betäubungsmittelgesetz, wiederholte gewerbsmässige widernatürliche Unzucht und ….., nein das ist glaub ich alles. Item, die Verhöre zogen sich hin und ich wunderte mich was sie alles wussten, erkannte ich doch erst später, dass die Schnauze halten und keine Kollegen verpfeifen reine Charaktersache sind und nicht von jedem zu erwarten. Nach drei Tagen wurde ich wieder in die geliebte Spinnwinde zurückspediert.
Ich fühlte mich extrem unwohl zwischen Jesus, Napoleon, von Ausserirdischen missbrauchten Insassen und was dergleichen noch im P7/2 kreuchte und fleuchte .
Doch eines Tages kreuzte der Jugendanwalt wieder auf und unterbreitete mir ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Er hätte in der Stadt Zürich ein Heim gefunden, welches bereit sei mich aufzunehmen, Bedingung sei allerdings, dass ich mich schriftlich zur Kooperation verpflichte.
Glatte Erpressung, denn die Alternative war langsame Verblödung im Umfeld der Irren, also stimmte ich zu, wohl wissend, dass ein unter diesen Umständen erzwungenes Schreiben kein ethisches Fundament aufweist und darum für mich keine Verbindlichkeit in sich trägt. Aber erstmals wollte ich nur raus hier, die Erlebnisse in der Klinik meist negativer Prägung würden allein diverse Seiten füllen und sogar während des Schreibens, 25 Jahre später, fühle ich die Abscheu und die Rebellion dieser Zeit wieder in mir aufsteigen, welche die Vergewaltigung meiner Seele damals bewirkt hatte. Also bestätigte und unterschrieb ich, was immer er bestätigt und unterschrieben haben wollte.
Leseprobe Dornbusch und Feenstaub
